CDs
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NEUES
AUS
DER
M U S I K W E L T
JAZZ
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John Scofield u. a.
EAST COAST BLOW OUT
Jazzline CD (auch als LP erhältlich)
V.Ö.:
1
.
1.2014
Natürlich hat es im Jazz großarti-
ge Orchester gegeben. Aber die
Zeiten eines Duke Ellington oder
Count Basie sind lange vorbei. Heu-
te gibt es weiterentwickelte For-
men, das Instabile Orchestra aus
Italien mit Gianluigi Trovesi etwa
oder das Vienna Art Orchestra, bei-
de vor Jahrzehnten aus der nob-
len Idee geboren, die Hierarchien
von Solist und Background aus-
zuhebeln, das große Format in ba-
sisdemokratische Strukturen um-
zumünzen. Freies Spiel auf gro-
ßem Terrain war angesagt, wo-
bei Misha Mengelberg mit seinem
Instant Pool Composers Orchestra
oder das Willem Breuker Kollek-
tief wohl am radikalsten vorgingen.
Dagegen schienen die Big Bands
der großen Rundfunkanstalten die-
sen Trend komplett zu verschla-
fen. Hartnäckig haftete ihnen das
Kurt-Edelhagen-Appeal an, geho-
bene, leicht konsumierbare Tanz-
musik mit Showeinlage zu spielen.
1989 schien dieser Winterschlaf
allerdings vorbei. Denn die Auf-
nahme der „East Coast Blow Out“-
Suite hält die Zusammenarbeit von
Jim McNeely und John Scofield mit
der WDR Big Band fest. Ein Glücks-
fall, gehört sie doch zu den Stern-
stunden des Genres. Das liegt we-
sentlich an der Rhythmsection mit
Marc Johnson am Bass und Adam
Nussbaum am Schlagzeug. Vor al-
lem Nussbaum wächst über sich
hinaus, weil er dem Großensemb-
le einerseits genug Backbeat (Be-
tonung auf dem zweiten und vier-
ten Schlag) zur Orientierung bie-
tet und sich trotzdem durch sprü-
hende Fills (kurze, improvisierte Fi-
guren) und Offbeats (Akzente zwi-
schen den Schlägen) enorme Frei-
räume erspielt. Präzise, mächtig
und glänzend erheben sich hinter
dem Quartett die Bläser. Scofield
spielt mit Sinn für starke, auch ent-
fesselte Soli und leitet wesentlich
durch die vier Sätze. McNeelys Kla-
viereinlagen stehen seinen Kompo-
sitionsfähigkeiten in nichts nach.
Eine Produktion, die Druck macht.
Tilman Urbach
MUSIK ★
★
★
★
KLANG
Interessanter Archivfund
eines großartigen Gitarristen:
John Scofield
Abdullah Ibrahim
M
MUKASHI: ONCE UPON A TIME
Intuition/New Arts CD
(
57
')
Mit Singsang und
Flötenklang
schwingt der südafrikanische Pi-
anist sich kurz ein, dann fesselt
er den Hörer mit schwermütigen
Melodien und stehenden Akkor-
den von Gewicht. Einmal mehr prä-
sentiert Abdullah Ibrahim sich als
Meister der Einfachheit und Re-
duktion. Wie schon öfter bei ihm
kommt einem in dieser Folge von
Solo- und Trioaufnahmen manches
bekannt vor - „Essence“ etwa ist ei-
ne Neufassung seiner Erfolgsnum-
mer „Ismael“ - , dafür betört er in
den Trios mit einer ungewöhnli-
chen Kammerbesetzung, indem er
den Holzbläser aus seiner Gruppe
Ekaya und jeweils einen klassi-
schen Cellisten heranzieht.
klm
MUSIK ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★
Brussels Jazz Orchestra
W ILD BEAUTY
Halfnote CD
(66’)
Für Joe Lovano war es - wie er in
den Liner Notes verrät - eine künst-
lerische Selbstvergewisserung: Ein-
mal altbekannte, eigene Stücke im
großen Ensemble aufzuführen. So
gab der Saxofonist dem Brüsseler
Jazz Orchestra unter Gil Goldstein
eine Carte blanche, frei über sei-
ne Musik zu verfügen. Tatsächlich
gelingen Goldstein schöne, sensi-
bel instrumentierte Arrangements,
über die Lovano seine Soli bläst.
Das klingt seelenvoll, geschmei-
dig und hat Kraft. Nur manchmal
verfällt die Big Band in allzu ver-
traute Swingmuster. Joe Lovanos
kompositorische und instrumentale
Extraklasse offenbart sich aber
auch hier.
T.U.
MUSIK -
KLANG ★ ★ ★
Jeanette Köhn & Swedish Radio Choir
NEWEYESONBAROQUE
ACT/Edel CD (
58
’)___________
M aria Pia De Vito, Anja Lechner u. a.
ILPERGOLESE
ECM/Universal CD (
59
’)_______
/»
Allzu oft enden Versuche, Barock-
musik mit den Mitteln des Pop und
Jazz zu modernisieren, in den Untie-
fen der „Rondo-Veneziano“-Sümp-
fe. Dass es auch anders geht, bewei-
sen zwei CDs. Die Klassik-Sopranis-
tin Jeanette Köhn holte sich vier ex-
zellente Solisten: Nils Landgren (Po-
saune), Johan Norberg (Gitarre), Jo-
nas Knutsson (Saxofon) und Eva Kru-
se (Keyboard) und nahm den Chor
des schwedischen Rundfunks mit ins
Boot. Als Stücke wählten die Künst-
ler zum einen sehr populäre Werke
wie Bachs „Air“ und ergänzten die-
se mit Arien aus Opern von Händel
und Purcell. Köhns warmer, natürli-
cher Sopran verbindet sich wunder-
N atalie Dessay, M ichel Legrand
ENTRE ELLE ET LUI
Etato/Watnet CD
(
65
')
Varieté, Film, Musical, Jazz, Chan-
son, Klassik - von Genregrenzen
hat der französische Komponist,
Pianist und Dirigent Michel Legrand
sich nie einengen lassen. Zusam-
men mit der Sopranistin Natalie
Dessay plus Rhythmusgruppe bie-
tet er jetzt einen Querschnitt durch
sein vokales Œvre, darunter Klassi-
ker wie „The Summer Knows“ oder
„Windmills Of Your Mind“, das die
beiden als charmantes Gesangs-
duett geben. Ihre Opernstimme
hat die Dessay draußen gelassen
und spielt eher die Diseuse, Chan-
sonette, ja Jazzsängerin. Oder sie
schlüpft in die Rolle von Filmfigu-
ren wie „Die Mädchen von Roche-
fort“.
klm
MUSIK ★ ★
KLANG ■
bar mit dem lyrischen Saxofonspiel
von Jonas Knutsson und den weich
timbrierten Posaunensoli von Land-
gren, und in derVersion der Bach-Air
für Bass alleine zeigt Eva Kruse be-
achtliche Solistenqualitäten.
Ebenfalls ein Album mit verjazzten
Barockwerken hat die italienische
Jazzsängerin Maria Pia de Vito mit ih-
ren Kollegen François Couturier (Kla-
vier), Michele Rabbia (Percussion,
elektronische Effekte) und der klas-
sischen Cellistin Anja Lechner ein-
gespielt. Bearbeitungen von Arien
des italienischen Barockkomponis-
ten Pergolesi wechseln darauf mit
Eigenkompositionen der Band-Mit-
glieder. Anders als die Arrangements
des Köhn-Albums, die recht dicht
am Original bleiben, benutzen de
Vito und ihre Mitstreiter Pergolesis
Melodien eher als Inspiration für ih-
re eigenen Improvisationen. Dabei
entsteht hochoriginelle Musik, die
mal traumhaft-meditativ, mal folko-
ristisch-tänzerisch oder avantgardis-
tisch-elektronisch klingt und sich sti-
listisch in keine Schublade packen
lässt.
Mario-Felix Vogt
MUSIK (NEW EYES)
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MUSIK (PERGOLESE)
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KLANG (BEIDE)
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Das DR-Logo gibt den Dynamikumfang des Tonträgers an. Nähere Infos unter www.stereo.de
STEREO 1/2014 135